Die wissenschaftliche Zusammenarbeit im Bereich Forschung und Entwicklung ist bei Lenzing tief verwurzelt. Als Pionier der Nachhaltigkeit sucht Lenzing aktiv nach Partnern, um die Entwicklung zu beschleunigen und die notwendige Wirkung zeitnah zu erzielen. Die Kooperationen reichen von großen Forschungszentren bis hin zu kleinen Einzelprojekten und umfassen auch die wichtige Vernetzung mit der wissenschaftlichen Community.
Weitere Informationen finden Sie im Kapitel „Einbeziehung von Stakeholdern“.
Alternative Rohstoffquellen für die Faserproduktion
Jedes pflanzliche Material dient potenziell als Cellulosequelle und kann somit zu Faserzellstoff für die Faserherstellung verarbeitet werden. Lenzing hat umfangreiche Untersuchungen zu vielen verschiedenen alternativen nicht holzbasierten Cellulosequellen durchgeführt. In ihrer Forschung identifiziert Lenzing vielversprechende neue Cellulosequellen und prüft sorgfältig deren Verfügbarkeit, technische Machbarkeit und wirtschaftliche Skalierbarkeit sowie die ökologischen Gesamtauswirkungen im Hinblick auf das Klimaziel und die zirkulären Ansätze von Lenzing.
Es wurden Studien zu Rohstoffquellen erstellt, etwa zu Einjahrespflanzen wie Hanf, Stroh und Bambus. Einjahrespflanzen weisen in der Regel im Vergleich zu Bäumen eine höhere Wachstumsrate pro Hektar auf. Zusätzlich haben bestimmte Arten einen höheren Cellulosegehalt. Einige davon sind bereits in großen Mengen verfügbar, vor allem in Form von landwirtschaftlichen Abfällen. Damit kann ein attraktiver Celluloseertrag pro Hektar erzielt werden; die Vorteile gegenüber Holz, der traditionellen Cellulosequelle, müssen jedoch von Fall zu Fall beurteilt werden.
Ausgehend von den aktuellen Daten ist die großtechnische und nachhaltige Produktion von Cellulose immer noch am besten mit Holz aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern anstelle der zuvor genannten Alternativen möglich.
Die vielversprechendsten Alternativrohstoffe zu Holz sind derzeit Zuschnittreste aus der Textilproduktion und Alttextilien. Lenzing präsentierte in diesem Bereich die erste industriell realisierte Lösung: die REFIBRA™ Technologie, die bis zu 30 Prozent an Textilabfällen als Ausgangsstoff verwendet und einen wichtigen Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft darstellt. Um schneller voranzukommen und relevante Mengen auf den Markt bringen zu können, haben sich Södra und Lenzing 2021 im Bereich Textilrecycling zusammengeschlossen. Sie entwickeln nun gemeinsam ihre jeweiligen Prozesse weiter mit dem Ziel, 2025 eine Recyclinganlage mit einer Kapazität von 25.000 Tonnen zu haben. Weitere Informationen finden Sie im Kapitel „Kreislaufwirtschaft und Ressourcen“.
Gleichzeitig ist es der Anspruch von Lenzing als Innovationsunternehmen, neue Lösungen zu finden und über den Tellerrand hinauszuschauen. Nach der erfolgreichen ersten limitierten Auflage von Fasern mit alternativen Zellstoffquellen im Jahr 2021 (Zellstoff aus Orangenresten von Orange Fiber) folgte 2022 eine weitere limitierte Auflage. Diesmal wurde ein Teil des holzbasierten Zellstoffs durch Zellstoff auf Hanfbasis ersetzt und die daraus gewonnenen Fasern bilden die Grundlage für den weltweit ersten biologisch abbaubaren Stretch-Denim-Stoff von Candiani Denim. Im Rahmen der Innovationsallianz INGRAIN wurde mit der RWTH Aachen und anderen Partnern ein erstes gemeinsames Entwicklungsprojekt gestartet. Darüber hinaus steht Lenzing im Austausch mit Herstellern von Zellstoff aus alternativen Zellstoffquellen (z.B. Stroh) und evaluiert die Eignung dieser Zellstoffe.
Um in Zukunft weitere neue Quellen für nicht holzbasierte Cellulose zu erschließen, bedarf es einer gezielten Erforschung der ökologischen und wirtschaftlichen Aspekte für die industrielle Produktion sowie einer verstärkten Zusammenarbeit. Es gilt, eine Reihe von Herausforderungen zu bewältigen, die im Folgenden näher beschrieben werden.
Verfügbarkeit
Alternativen wie Bambus, Stroh und verschiedene Einjahrespflanzen stehen derzeit noch nicht in der von Lenzing geforderten Qualität und Menge zur Verfügung. Viele Einjahrespflanzen sind nur in der Erntezeit verfügbar und lassen sich schwer für eine ganzjährige Nutzung lagern. Einjahrespflanzen eignen sich daher vor allem für saisonale Produktionskampagnen. Trotz spezifischer Vorteile und hohem Jahreszuwachs pro Hektar ist das Material sehr sperrig und aufwändig zu transportieren. Dies begünstigt die lokale Beschaffung der Rohstoffe und die Beibehaltung kleiner Produktionskapazitäten.
Ökologische Nachhaltigkeit
Die Umwandlung von Wäldern in landwirtschaftliche Nutzflächen für Einjahrespflanzen ist ein weltweites Phänomen und erhöht den Druck auf alle Arten von Wäldern. Die negativen Auswirkungen sind bereits erkennbar, z.B. bei der Palmölproduktion. Da nachhaltig bewirtschaftete Wälder deutlich mehr Kohlenstoff pro Hektar speichern als einjährige Pflanzen, wirkt sich dieser Trend negativ auf die CO2-Bilanz der gesamten Wertschöpfungskette aus. Deshalb ist eine gründliche Berechnung der Kohlenstoffbilanz unter Einbeziehung sämtlicher Co-Produkte von Einjahrespflanzen erforderlich.
Ein weiterer wichtiger Faktor für die Nachhaltigkeitsleistung von Einjahrespflanzen ist die Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Nutzflächen. Hochproduktive Flächen benötigen deutlich mehr Düngemittel und Pestizide als Wälder und verursachen daher andere Umweltprobleme. So gilt beispielsweise das Umweltprofil eines großflächigen Bambusanbaus als insgesamt nicht zufriedenstellend.
Wichtige Faktoren für die Umweltauswirkungen des Prozesses sind der Energieverbrauch und die bei der Faserproduktion eingesetzten Prozesschemikalien. Sie hängen stark vom jeweiligen Verfahren ab und variieren von einer zur anderen Einjahrespflanze erheblich. Baumwoll-Linters, die in einigen Regionen bei der Viscoseherstellung verwendet werden, können z.B. zur Herstellung von Faserzellstoff genutzt werden. Sie erfordern jedoch ein Aufschlussverfahren, bei dem erhebliche Mengen an Chemikalien und Energie eingesetzt werden müssen. Wenn Baumwoll-Linters-Verarbeitungsanlagen nicht dem neuesten Stand der Technik entsprechen, kann die Produktion ressourcenintensiv sein und hohe Emissionen und Abfälle mit sich bringen.
Technische Machbarkeit
Abgesehen davon, dass aus alternativen Quellen hergestellte Fasern keine zusätzlichen Umweltprobleme verursachen sollten, müssen sie dieselben Qualitätskriterien wie Fasern aus dem Rohmaterial Holz erfüllen. Der Bioraffinerieprozess für Fasern aus Holz ist stark auf den Rohstoff ausgerichtet. Das sorgt für eine gleichbleibend hohe Qualität und Effizienz und liefert Bioenergie als Co-Produkt. Bei nicht holzbasierten Ausgangsmaterialien ist die als Co-Produkt entstehende Menge an Bioenergie womöglich niedriger, sodass zusätzliche Energiequellen für die Verarbeitung zu Faserzellstoff herangezogen werden müssen, was negative Auswirkungen auf die Umwelt haben kann.
Einjahrespflanzen enthalten mehr mineralische Bestandteile und organische Substanzen, die eliminiert werden müssen, um hochwertigen Faserzellstoff herzustellen. Für diese Reinigungsprozesse sind in der Regel aggressive Chemikalien erforderlich, die wiederum Abfallprobleme verursachen. Es ist eine große Herausforderung, neue Technologien für diese Materialien zu entwickeln und gleichzeitig die Produktqualität und Umweltfreundlichkeit zu erhalten. In Holzgewächsen wie Bäumen hingegen konzentrieren sich diese Bestandteile in der Rinde und lassen sich daher in der ersten Phase des Prozesses leicht eliminieren.
Die Erfahrungen aus der Papierindustrie mit diesen Quellen sind nur von begrenztem Nutzen, da für Faserzellstoff völlig andere Qualitäts- und Reinheitsanforderungen gelten. Zwar wurden moderne Anbau- und Erntekonzepte entwickelt, ein neuer Bioraffinerie-Prozess für Einjahrespflanzen muss jedoch an die besonderen Anforderungen angepasst werden und ein Management der Prozesschemikalien im Sinne der Kreislaufwirtschaft sowie die Behandlung von Verunreinigungen, die von den Pflanzen verursacht wurden, berücksichtigen. Von den etablierten industriellen Prozessen erfüllt bislang keiner diese Voraussetzungen.
Weitere Informationen finden Sie im Fokuspapier „Holz und Zellstoff“.