Vorwort des Vorstandsvorsitzenden

[GRI 2-22]

Sehr geehrte Leser:innen,

es ist ein außergewöhnliches Jahr, auf das wir in diesem Bericht zurückblicken. Ein Jahr voller Gegensätze: einerseits geprägt durch unsägliches humanitäres Leid und wirtschaftliche Turbulenzen infolge der russischen Invasion in die Ukraine, die seither in alle Regionen der Welt wirken und auch für Lenzing wie für die gesamte verarbeitende Industrie negative Auswirkungen haben, andererseits mit herausragenden Erfolgen, die mich als Vorstandsvorsitzender der Lenzing durchaus mit Stolz erfüllen.

Lassen Sie mich zu Beginn auf unsere Geschäftsentwicklung eingehen: Der Kostenanstieg bei Energie und Rohstoffen ab dem ersten Quartal und der Nachfrageeinbruch im Lauf des dritten Quartals haben die Umsatz- und Ergebnisentwicklung der Lenzing im Geschäftsjahr 2022 signifikant negativ beeinflusst. Die Umsatzerlöse sind ausschließlich aufgrund der gestiegenen Faserpreise um 16,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf EUR 2,57 Mrd. gestiegen, während sich das EBITDA um 33,3 Prozent auf EUR 241,9 Mio. verringerte.

Der Lenzing Vorstand reagierte frühzeitig auf diese Ergebnisentwicklung und startete ein Programm zur Reorganisation und Kosteneinsparung, das bereits bis Ende 2022 erste Ergebnisbeiträge verzeichnete und die Kostenbasis nach voller Implementierung annualisiert um EUR 70 Mio. reduzieren wird.

Wir werden aber nicht nur strukturell unsere Kostenbasis anpassen. Unser Ziel ist es, uns im Sinne einer kontinuierlichen Verbesserung weiterzuentwickeln und gestärkt aus dieser Krise hervorzugehen. Das bedeutet, dass wir unsere Prozesse in allen Bereichen der Organisation hinterfragen und schauen, wo wir besser werden können, um von der künftigen Markterholung sehr schnell profitieren zu können. Diese Krise wird uns voraussichtlich länger begleiten als es zu Beginn der Pandemie der Fall war. Dennoch können wir mit großer Zuversicht nach vorne blicken, denn der Bedarf an nachhaltigen Innovationen in der Welt ist ungebrochen und die Nachfrage nach umweltverträglichen Fasern für die Textil- und Vliesstoffindustrien wird weiter steigen.

Wir haben den Anspruch, die Welt positiv zu verändern. Genau das macht einen spürbaren Unterschied zu anderen Unternehmen und gibt unserem Tun einen Sinn. „Advance our world with better choices“ – dies ist unser mutiges Purpose-Statement, das wir 2022 zusammen mit unseren Mitarbeiter:innen erarbeitet haben.

Wir haben auch unsere Strategie weiterentwickelt und werden nach der erfolgreichen Umsetzung unserer Investitionsprojekte in Thailand und Brasilien auch weiterhin auf profitables Wachstum mit unseren Spezialitäten setzen. Wir werden das Thema Recycling weiter forcieren und damit einen wertvollen Beitrag bei der Transformation der Textil- und Bekleidungsindustrie von einem linearen zu einem Modell der Kreislaufwirtschaft leisten. Wir bleiben Champion der Nachhaltigkeit – neuerliche Bestnoten bei CDP, EcoVadis, MSCI und weiteren angesehenen Umweltorganisationen und Ratingagenturen legen Zeugnis darüber ab – und wir wollen und werden auch Champion der Kreislaufwirtschaft werden.

Neben den operativen Zielen haben wir uns auch ehrgeizige Finanzziele gesteckt: Wir wollen unser EBITDA, bei einem ROCE von über 12 Prozent und ein normales wirtschaftliches Umfeld vorausgesetzt, bis 2027 auf EUR 1 Mrd. steigern. Das ist eine Schallmauer, auf die wir in den kommenden Jahren akribisch hinarbeiten.

Ein wesentlicher Teil unseres Lenzing Purpose und unserer Unternehmensstrategie „Better Growth“ ist, dass wir uns nicht damit zufriedengeben, negative Auswirkungen zu verringern. Vielmehr wollen wir noch mehr positiven Nutzen schaffen, indem wir etwa auch zur weiteren Verbesserung der Vielfalt und Gleichstellung der Geschlechter im Unternehmen sowie der Biodiversität beitragen. Wir haben auch bei den Klimazielen weitere Fortschritte erzielt, indem wir in zwei weiteren Werken auf die Versorgung mit erneuerbarem Strom umgestiegen sind. Die Einführung von Sozialklauseln in Lieferantenverträgen ist ein weiterer konsequenter Schritt zur Stärkung unserer Vorreiterrolle.

Ich möchte an dieser Stelle insbesondere auch auf die erfolgreichen Investitionsprojekte eingehen, die wir in diesem Jahr umgesetzt oder wesentlich vorangetrieben haben, beginnend mit der Eröffnung des weltgrößten Lyocellwerks in Thailand. Das neue, hochmoderne Werk ermöglicht uns, die wachsende Nachfrage nach umweltverträglichen Lyocellfasern der Marken TENCEL™ und VEOCEL™ besser zu bedienen. Den für die Produktion dieser Fasern benötigten Zellstoff können wir künftig aus unserem Werk in Brasilien, das wir ebenfalls in diesem Jahr erfolgreich in Betrieb genommen haben, bereitstellen. Beide Projekte wurden trotz zahlreicher Herausforderungen pünktlich und im vorgegeben Kostenrahmen realisiert, und wir liegen mit den verkauften Mengen sehr gut im Plan. Darauf dürfen wir als Lenzinger:innen mit Recht stolz sein.

Darüber hinaus investieren wir weiter an unseren bestehenden Produktionsstandorten, um unseren Produktmix an die Kundenbedürfnisse anzupassen und unseren ökologischen Footprint immer weiter zu verbessern. In China können wir unseren Kunden nach der unmittelbar bevorstehenden Konvertierung einer Produktionslinie erstmals auch lokal erzeugte TENCEL™ Modalfasern anbieten. In Indonesien sind wir auf einem sehr guten Weg, bestehende Produktionskapazitäten umzurüsten, um künftig deutlich bessere Viscosefasern der Marke LENZING™ ECOVERO™ anbieten zu können.

Sämtliche Investitionsprojekte zahlen auch auf die Erreichung unserer Klimaziele ein. Wir haben uns vorgenommen, unsere CO₂-Emissionen bis 2030 zu halbieren und bis 2050 eine CO₂-neutrale Produktion zu erreichen. Diese Ziele wurden 2019 von der Science Based Targets Initiative anerkannt. Die beiden Werke in Thailand und Brasilien können wir schon heute CO₂-neutral betreiben. In Brasilien können wir sogar einen beträchtlichen Anteil der überschüssigen Energie ins öffentliche Netz einspeisen.

Das Thema Energie hat uns in diesem Jahr wie selten zuvor bewegt, und auch wir waren wie viele Industrieunternehmen gezwungen, unseren Weg zu beschleunigen und uns insbesondere an unseren europäischen Standorten noch unabhängiger von externer Energie zu machen. Umso mehr freut mich, dass wir 2022 die größte Photovoltaikanlage des Landes Oberösterreich in unserem Headquarter in Lenzing in Betrieb nehmen konnten.

Ich möchte die Gelegenheit auch nutzen, mich bei Ihnen, geschätzte Investoren, liebe Kunden und Partner im Namen des Lenzing Vorstands zu bedanken. Mir ist bewusst, dass turbulente Zeiten wie diese immer auch mit neuen und unerwarteten Herausforderungen verbunden sind. Umso mehr schätze ich, dass Sie auf unsere Strategie und unsere nachhaltigen, innovativen Produkte vertrauen.

Wir haben auch unsere mehrfach ausgezeichnete Berichterstattung im Sinne unserer Leser:innen weiter verbessert und die sich bietenden digitalen Lösungen optimiert. Sie erwartet ein ausführlicher Einblick in die Lage des Unternehmens sowie seine Tätigkeiten und Leistungen in Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung. Bei alledem haben wir dieses Jahr einen besonderen Fokus auf Menschen gerichtet, die mit ihrem Engagement positiv zum Erfolg der Lenzing 2022 beitrugen und damit auch den nötigen Wandel der Textil- und Vliesstoffindustrien von einem linearen zu einem Modell der Kreislaufwirtschaft vorantreiben.

Lassen Sie mich nochmals betonen, dass wir in turbulenten Zeiten die richtigen Weichen gestellt haben. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit Lenzing hervorragend aufgestellt sind, um der wachsenden globalen Nachfrage nach nachhaltigen und damit zukunftsfähigen Lösungen gerecht zu werden. Wir werden uns ohne Zweifel zu einem Champion der Kreislaufwirtschaft weiterentwickeln und hier eine Vorreiterrolle einnehmen.

Ich wünsche Ihnen abschließend bei der Lektüre unserer finanziellen und nicht-finanziellen Berichte viel Vergnügen und hoffentlich zahlreiche neue Impulse.

Ihr,
Stephan Sielaff